Es passiert ganz plötzlich. Du gehst durch die Straßen, nichts ahnend, die Gedanken irgendwo zwischen Alltag und Terminen. Und dann ist er da – dieser eine Duft!
Vielleicht ist es der warme Geruch von frisch Gebackenem, der Dich an Deine Großeltern erinnert; der süße Hauch eines Parfüms, das ein ganz besonderer Mensch trägt oder der warme Sommerregen, der Dich gedanklich in Deine Kindheit zurückversetzt.
Ein einziger Atemzug genügt – und Deine Welt steht für einen Moment still.

Das bestätigen auch die neun Teilnehmer*innen des Duftseminars im Heinrich-Pesch-Haus in Ludwigshafen. Andrea zum Beispiel schwelgt in Erinnerungen an ihre Kindheit, wenn sie blühenden Flieder riecht. Dann sieht sie sich wieder mit anderen Kindern Maiglöckchen pflücken – und allein dieser Gedanke zaubert ihr noch heute ein Lächeln ins Gesicht.
Zwei Tage lang dreht sich alles um das Thema Düfte. Die Idee zu diesem Seminar hatte Kursleiterin Anja Bein vom MÖD. Alles rund um Gerüche und deren Wirkung fasziniert sie schon lange: Wie entstehen Düfte? Wie nehmen wir sie wahr? Und was lösen sie tief in unserem Innersten aus?
Düfte als Zeitmaschinen
„Düfte haben eine einzigartige Macht“, erzählt Anja Bein. „Sie lassen sich nicht festhalten, nicht wirklich beschreiben – und doch sind sie stärker als viele andere Sinneseindrücke.“
Während das, was wir sehen oder hören, oft vom Verstand gefiltert wird, geht Geruch direkt ins Herz.
Wissenschaftlich erklärt: Der Geruchssinn ist eng mit dem limbischen System verknüpft – dem Teil unseres Gehirns, der für Emotionen und Erinnerungen zuständig ist. Deshalb können Düfte mit einem Schlag längst vergessene Gefühle hervorrufen, Szenen aus der Vergangenheit zurückholen – und uns bis ins Innerste berühren.
So wie der Geruch von Fichtenwäldern im Erzgebirge, der Hanni an ihre Kindheit erinnert. Oder frisch gebrühter Filterkaffee, der in Sekundenschnelle das Bild ihrer Großeltern erscheinen lässt – samt alter Kaffeekanne, Küchentisch und einem tiefen Gefühl von Geborgenheit.
Wenn Wohlgeruch und Übelkeit nah beieinander liegen
Dabei empfindet jeder Mensch Düfte anders. Was für den einen wohltuend ist, kann beim anderen Abwehr auslösen. Für manche ist der süße Geruch von Vanille und Kokos wie eine warme Umarmung – für Kathrin hingegen kaum zu ertragen. Kaum ist ein Hauch davon durch Cremes oder Parfüms an ihrem Körper, wird ihr unwohl. „Komische Gefühle“, sagt sie, „obwohl ich kein Problem habe beides zu essen.“

Ganz anders ist es bei fruchtigen Noten – die liebt sie in jeder Form. Vor allem der Duft von Wassermelone weckt in ihr Erinnerungen an Kindheit, Urlaub und Leichtigkeit.
Auch Silke hat klare Vorlieben – und klare Grenzen. Lakritz und Anis zum Beispiel mag sie gar nicht. Weder als Geschmack noch als Duft – da reagiert sie sofort. Dafür interessiert sie sich leidenschaftlich für die Entstehung von Düften. Wie kam der Mensch eigentlich darauf, mit Duftstoffen zu arbeiten? Wie wird ein Parfüm hergestellt? Welche Rohstoffe stecken darin?
Wie Parfüms Geschichten erzählen
Ein Parfüm ist nicht nur ein Geruch – es ist eine Geschichte, erzählt in Kopf-, Herz- und Basisnoten. Manche Düfte brauchen Monate, manchmal Jahre der Entwicklung. Und oft beginnt alles mit einer Erinnerung: an den Duft von Wassermelone im Hochsommer, wie bei Kathrin. Oder an das würzige Aroma eines Gulaschs, wie ihn Oma in Österreich gekocht hat – samt selbstgeschabten Spätzle. Karin erinnert sich daran, als wäre es gestern gewesen.
Sie selbst liebt Düfte – muss aber sehr vorsichtig sein. Ihr Körper reagiert sensibel, deshalb hat sie nur fünf oder sechs ausgewählte Parfüms zu Hause, sorgfältig ausgesucht und über längere Zeit getestet. Für sie ist Duft ein wertvoller Begleiter – aber einer, der Vertrauen braucht.
Gerüche in anderen Ländern
Fabian erinnert sich besonders intensiv an seine Zeit in Thailand. Dort riecht alles anders – lebendiger, voller Gewürze, voller Leben. „Wenn ich dort esse, schmeckt es ganz anders – weil ich es dort auch anders rieche“, sagt er. Der Duft ist ein Teil der Kultur – und ein Schlüssel zu echter Verbindung.
Gerüche die anziehend oder abstoßend wirken
Lisa denkt sofort an ihren ersten Schwarm. Er trug viel Parfüm – und sie war hin und weg. Noch heute weiß sie, wie es roch, wie sie abends mit ihrer Freundin geschwärmt hat. „Ich kann mich noch genau erinnern, wie sich das angefühlt hat. Wie ich ihn angehimmelt habe und dachte, morgen kann ich wieder sein gutes Parfüm riechen.“ Ein Duft, der mit einem einzigen Atemzug ein ganzes Gefühlschaos zurückholt.
Doch nicht jeder Duft ist willkommen. Rainer zum Beispiel kann die Kastanienblüte im Juni nicht ausstehen – „die riecht komisch“, sagt er trocken. Ganz anders der Sommerregen nach langer Hitze. Der Duft von trockenem Boden, der plötzlich aufatmet – das entschleunigt, bringt Ruhe.

Auch Siggi genießt diesen Moment – besonders, wenn der Regen durch den Wald zieht. Wenn das Heu duftet, die Trauben gepresst werden, und der frische Most in der Luft liegt. Für ihn gehören auch schwarze Kirschen dazu – süß, dunkel, einfach Kindheit.
Duft als Sprache der Erinnerung
In der Pflege, der Therapie und auch im Alltag wird Duft zunehmend als Werkzeug entdeckt. Man nennt das „Duftanker“ – Gerüche, die mit einer positiven Erfahrung verknüpft werden. Wenn wir diesen Duft wieder wahrnehmen, ruft er das Gefühl zurück. Vertrautheit, Sicherheit, Trost. Ob Lavendel, frischer Apfel oder ein Hauch von Zimt – sie alle können uns erden.
Wer bewusst riecht, lebt bewusster. Beim Spaziergang durch den Wald. Beim Öffnen eines alten Buches. Beim Einatmen des vertrauten Shampoos eines geliebten Menschen. Gerüche holen uns ins Jetzt – aber auch zurück zu uns selbst.
Erinnerungen schaffen
Am Ende des ersten Seminartages werden selbstgemachte Kaffee-Seifen, Deos und Duftsteine aus Basaltton hergestellt.
Es herrscht ein reges Basteln und Kichern und alle haben unglaublich viel Spaß dabei.
Düfte in der Natur
Am zweiten Seminartag geht es hinaus ins Grüne. Olga Menges führt die komplette Gruppe durch den Ebertpark, der in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag feiert.

Mit großer Leidenschaft erzählt sie von den Pflanzen, die dort blühen und gedeihen, und erklärt, dass die gestaltete Blütenpracht ganz bewusst so geplant wurde, um alle Sinne anzusprechen – besonders im Hinblick auf heimische Wiesenpflanzen.
Überall schnuppern die Teilnehmer*innen an Blüten, tauschen Eindrücke aus, lachen und lauschen interessiert. Es gibt zudem spannende Infos über Heilpflanzen, etwa über das Johanniskraut, das einen roten Saft abgibt und beruhigend wirkt.
Diese wundervolle Auszeit gibt allen wieder neue Kraft und Energie und hilft dabei den Kopf frei zu kriegen, für den so oft anstrengenden und fordernden Job, den sie aber über alles Lieben.
Der eigene Duft des Lebens
Vielleicht ist es genau das, was Düfte so besonders macht: Sie sind nicht sichtbar, nicht greifbar – und gerade deshalb so stark. Sie begleiten uns leise, aber wirkungsvoll.
Und sie erinnern uns daran, dass das Leben nicht nur aus To-do-Listen, Terminen und Bildschirmen besteht, sondern aus echten Momenten.
Aus frischer Erde nach dem Regen.
Aus Omas Apfelkuchen.
Aus Sommerluft in der Dämmerung.
Vielleicht sollten wir öfter einfach mal tief durch die Nase einatmen – und spüren, was da ist.
Denn manchmal beginnt Glück genau dort:
Mit einem Hauch von etwas Schönem in der Luft.

