Aktuelles Zwischen Angst und Hoffnung: Ukrainische Studentinnen in der Pfalz

Zwischen Angst und Hoffnung: Ukrainische Studentinnen in der Pfalz

Sirenen heulen durch die Straßen und Menschen flüchten in Panik in Schutzräume. In der Ferne erschüttern Explosionen die Nacht. Erst beim zweiten Ertönen des Luftalarms ist klar, dass die unmittelbare Gefahr vorüber ist. Ein unvorstellbarer Albtraum. Die Herzen der Menschen sind schwer vor Angst und Unsicherheit.

Wie bewältigt man das Leben in einem Land, das vom Krieg erschüttert wird? Vor zwei Jahren sind die ersten Bomben auf die Ukraine abgeworfen worden. Über zehntausend Zivilisten sind dabei mittlerweile ums Leben gekommen. Diejenigen deren Heimatstadt noch nicht direkt betroffen ist, versuchen so gut wie möglich so weiterzuleben wie bisher.

So auch Kateryna Hozha aus Switlowodsk und Yuliia Chorii aus Mukatschewo. Beide studieren in der Ukraine Germanistik und wurden für das Austauschprogramm des Arbeitskreises Ukraine-Pfalz ausgewählt. Dieser Arbeitskreis ist vor mehr als 30 Jahren ins Leben gerufen worden, um Wiedergutmachung zu leisten für ehemalige Zwangsarbeiter aus der Ukraine. Seitdem besteht ein enges Band zwischen ukrainischen Städten und dem Arbeitskreis der Pfälzischen Landeskirche. Zu den Projekten des Arbeitskreises zählen: Humanitäre Hilfen, Praktika von Ärzten aus der Ukraine und Stipendien für Germanistikstudierende.

In der Regel dürfen insgesamt drei Studierende aus Odessa, Ushgorod und Poltava für ein Gastsemester nach Deutschland reisen. Bei Kateryna Hozha ist dies auch der Fall, Yuliia Chorii ist bereits zwei Semester in Deutschland. Grund dafür ist der Ausbruch des Krieges, bei dem ein Gremium entschieden hat, Yuliia Chorii nicht sofort nach einem Semester in ihr Land zurückzuschicken. Die dritte Stipendiatsstelle ist erst einmal frei geblieben, da es in Odessa heftige Kämpfe gibt und einen Austausch erschwert.

Beide Studentinnen sind an der RPTU (Rheinland-Pfälzische Technische Universität) in Landau untergebracht. Kateryna Hozha ist seit April dieses Jahres in der Pfalz und macht gerade ihr Masterstudium, welches sie im Januar nächsten Jahres beenden will. Ihre Liebe zur deutschen Sprache hat sie bei mehreren Besuchen für sich entdeckt und wenn sie darüber spricht (übrigens in sehr gutem Deutsch), dann strahlt ihr ganzes Gesicht. Diese Energie und Leidenschaft, die die 28jährige versprüht, zieht einen in den Bann. Für sie ist die deutsche Sprache wie Liebe auf den ersten Blick. „So fantastisch, einzigartig und melodisch“ schwärmt sie.

„Eine Sprache ist ein Gefühl und sollte mit Inspiration verbunden sein. So, dass man dafür brennt“.

Und dieses Gefühl will sie auf andere Menschen übertragen, deshalb möchte sie Deutschlehrerin werden, könnte sich aber auch vorstellen, irgendwann mal als Dolmetscherin zu arbeiten.

Kateryna hat Angst um ihren Bruder

Als es um das Thema Krieg geht, verdüstert sich ihr Gesicht und während sie uns gedanklich mitnimmt, verändert sich schlagartig die Stimmung im Raum. Sie hat Angst, dass ihr 23jähriger Bruder eingezogen wird. „Ich will mir nicht vorstellen, dass mein kleiner Bruder in den Krieg ziehen muss“, erzählt sie voller Verzweiflung. „Doch er sei bereit, er könne eh nichts daran ändern“, erzählt sie.

Dann folgt eine längere Pause und wir brauchen alle einen Moment, um uns zu sammeln. Auf die Frage, ob sie denn später lieber in Deutschland oder der Ukraine leben möchte, ist sie hin- und hergerissen. Einerseits will sie bei ihrer Familie in der Ukraine sein, auf der anderen Seite liebt sie aber auch Deutschland.

Enkelin wird Deutschlehrerin

Ganz im Gegensatz zu ihrer Mitstudentin Yuliia Chorii, die bereits einen genauen Plan verfolgt. Das Studium beenden und so schnell wie möglich nach Deutschland kommen, um hier als Lehrerin zu arbeiten. Ihre Oma lebt bereits seit mehr als 20 Jahren in der Nähe von Pirmasens. Sie hat hier in Deutschland ihre große Liebe gefunden und geheiratet. Nun kommt die Enkelin vielleicht bald hinterher.

Seit der ersten Klasse besucht sie den Deutschunterricht, seit der fünften lernt sie zusätzlich auch noch Englisch. Schon sehr früh haben die Eltern keine Perspektive in der Ukraine für ihre Tochter gesehen und sie immer wieder motiviert Deutsch zu lernen, um später mal ein besseres Leben führen zu können.

In einem Jahr will die 19jährige ihren Bachelor abschließen, danach hofft sie auf ein Masterstudium in Deutschland. Ein bisschen Erfahrung in ihrem zukünftigen Beruf als Lehrerin hat sie bereits gesammelt, denn privat gibt sie Onlinekurse für Ukrainer. In so jungen Jahren in ein fremdes Land zu ziehen, sei für Yuliia Chorii überhaupt kein Problem, auch wenn sie weit weg von der Familie lebt. „Wir haben doch täglich Kontakt“, erzählt sie. Doch ihr größter Wunsch wäre es, wenn sie zusammen mit ihren Eltern und ihrer 13jährigen Schwester irgendwann komplett nach Deutschland kommen könnte.

Auch Yuliia Chorii schwärmt von Deutschland, wie freundlich und geduldig wir alle seien. Spontan bricht Gelächter aus, weil wir als Deutsche bei dem Interview niemals mit so einer Antwort gerechnet hätten und etwas anderer Meinung sind, aber es bringt uns auch zum Nachdenken.

Leichte Lebensart und viele Brötchen

Die Studentin liebt außerdem die lockere, leichte Lebensart, die wir hier in Deutschland haben. „Ich liebe Veranstaltungen, Weihnachtsmärkte, Musikfeste“, schwärmt sie. Außerdem sind beide Studentinnen völlig begeistert von dem großartigen Angebot unserer Bäckereien. „Ihr habt gefühlt 80 verschiedene Brötchen und Brotsorten“, sagt Kateryna Hozha lachend.

„Und das Gebäck…“, schwärmt Yuliia Chorii. Beide sind große Naschkätzchen und zählen voller Begeisterung sämtliche Kuchenteilchen auf, die es zu kaufen gibt. Man merkt sofort: beide fühlen sich sichtlich wohl in Deutschland. Frei und unbefangen, in einem Land, in dem Frieden herrscht. In einem Land mit Perspektive, einem Gesundheitssystem, einem Dach über dem Kopf und einem Netz, welches jeden von uns in Krisensituationen auffängt.

Bevor wir also in unsere oft so typisch deutsche Lethargie verfallen und alles schlecht reden, sollten wir mal beherzt den Menschen zuhören, die aus Ländern kommen, in denen es nicht so gut läuft wie bei uns. Vielleicht verändert das ein bisschen den Blick und die Sichtweise auf bestimmte Dinge. Und vielleicht sind wir zukünftig etwas dankbarer und freuen uns schon morgens beim Bäcker über die Auswahl von 80 Brot- und Brötchensorten.