Unterwegs mit zukünftigen Pfarrer*innen in Ludwigshafen
Wie sieht Gemeindearbeit wirklich aus? Das wollen MÖD-Leiter Thomas Borchers und Interkulturalitäts-Beauftragter Dr. Arne Dembek den angehenden Pfarrer*innen der Evangelischen Kirche der Pfalz einen ganzen Tag lang hautnah zeigen. Deshalb haben sie zu einem Ausflug nach Ludwigshafen eingeladen, der garantiert bleibende Eindrücke hinterlässt. Sechs Vikar*innen sind der Einladung gefolgt; sie werden voraussichtlich ab März 2024 ihre erste Stelle antreten.
„Ludwigshafen ist eine Stadt, die divers und interkulturell aufgestellt ist“, gibt Thomas Borchers den Vikar*innen mit auf den gemeinsamen Spaziergang, denn ihr Weg heute durch die Stadt, soll den jungen Kolleg*innen vor allem aufzeigen, welche sozialen Projekte es hier gibt und wie die Arbeit in der Gemeinde konkret aussieht.
Startpunkt ist die Apostelkirche in Ludwigshafen. Ein Duft von warmen Essen liegt in der Luft. Menschen stehen bereits vor der Tür und warten darauf, dass sie öffnet, denn sie bekommen hier jeden Mittag von Montag bis Freitag gratis eine warme Mahlzeit und einen kleinen Nachtisch.
Das Projekt gibt es schon seit fast 30 Jahren und nennt sich „Suppenküche“. Pfarrerin Kerstin Bartels führt die Gruppe zur Küche und zum großen Esszimmer der Kirche. „Vor allem an kalten Tagen ist hier sehr viel los“, sagt sie. Menschen wärmen sich auf, genießen das Essen, sitzen beisammen und spielen auch manchmal Gesellschaftsspiele die dort ausliegen.
“Hier können Menschen duschen, Wäsche waschen
und gemütlich beisammensitzen”
Nach der Mittagspause und einer leckeren Suppe geht es in das Haus gegenüber. In einer kleinen Wohnung im Erdgeschoss zeigt Bartels zusammen mit Sozialdiakonin Vera Klaunzer die „Rohrlach-Stube“. „Hier können Menschen duschen, Wäsche waschen und gemütlich beisammensitzen“, so Klaunzer, die viele Jahre als Streetworkerin gearbeitet hat.
„Sobald die Suppenküche geschlossen ist, bringen wir die Reste hierher, damit die Bedürftigen auch noch zur späteren Zeit etwas Warmes zu essen bekommen“, erklärt Kerstin Bartels bevor es weitergeht zur nächsten Station, welche in Ludwigshafen sehr bekannt ist: ein Wohnkomplex in der Bayreuther Straße. Dieser gilt als sozialer Brennpunkt der Stadt.
Zwischen den Wohnblöcken stehen ausrangierte Sofas, alte Matratzen und kaputte Kühlschränke. Die Stadt schaffe es nicht, den Müll zu entsorgen, erklärt Sozialarbeiter Johannes Hucke. „Ich arbeite schon viele Jahre hier“, erzählt er. Die Zimmer seien teilweise verschimmelt, heruntergekommen und ohne funktionsfähige Heizung. „Die Menschen, die hier leben“, betont er, „leben unter widrigsten Bedingungen“. Darum versuche er immer wieder, die Situation der Menschen zu verbessern und ihnen zu helfen. Die Vikar*innen werden nachdenklich. Ihre Betroffenheit ist spürbar, die Stimmung wird emotionaler.
„Ich brauch mal kurz Ruhe, um das sacken zu lassen.“
„Einige der Bewohner kommen ursprünglich aus guten Verhältnissen, haben ein Leben lang gearbeitet und dann ihren Job verloren oder sind krank geworden“, erklärt der Sozialarbeiter. Und da in Ludwigshafen kein Wohnraum verfügbar sei, würden sie erst einmal in diesen Wohnungen untergebracht.
Die Umstände, in denen hier etwa 450 Menschen hausen müssen, schockiert die Gruppe. Mit einem „Spaziergang“ hat das gefühlt nichts mehr zu tun. Ein Teilnehmer braucht eine Auszeit und zieht sich zurück mit den Worten: „Ich brauch mal kurz Ruhe, um das sacken zu lassen.“ Die Eindrücke von heute werden die Fast-Pfarrer*innen wohl nachhaltig prägen.
„Das Ziel dieses Spazierganges ist, ein Bewusstsein für all das zu schaffen“, meint MÖD-Leiter Thomas Borchers. „Als Kirche müssen wir uns noch mehr für solche Dinge öffnen und diese auch noch mehr wahrnehmen.“
Glücklicherweise existiert das Bewusstsein in Ludwigshafen schon, denn es gibt viele Ehrenamtliche und Sozialarbeiter, die nicht wegschauen, sondern für ein besseres Leben der Menschen vor Ort kämpfen, die unter Armut leiden.
Gerade Ludwigshafen gilt als Paradebeispiel für das Zusammenleben verschiedener Kulturen, auch das präge die Gemeindearbeit hier in besonderer Weise, meint Arne Dembek. Integration werde großgeschrieben. Ein Beispiel ist das Café Asyl im Stadtteil Mundenheim, welches sich seit über 10 Jahren für Geflüchtete einsetzt und Unterstützung bietet.
„Da kommen die unterschiedlichsten Nationen zusammen“, erklärt Vera Klaunzer, die das Café Asyl in Mundenheim leitet. „Hier geht es vor allem um Neuanfängen und Durchhaltevermögen und darum, Vertrauen zu schaffen, warmherzig zu sein“, so die Sozialdiakonin.
In diesem außergewöhnlichen Café wird Hilfe in jeglicher Form angeboten, zum Beispiel beim Ausfüllen von Anträgen oder beim Verstehen von Behördenbriefe, auch Rechtsberatungen gehören zu den Angeboten. „In Zukunft müssen wir uns noch viel weiter öffnen und auf andere zugehen, damit wir eine große Gemeinschaft werden“, knüpft Arne Dembek an die Eindrücke des heutigen Tages an.
Nun geht es zum letzten Besichtigungspunkt an diesem Tag: Bartels und Klaunzer führen die Gruppe zu einem ruhigen Wohnviertel, dem ehemaligen Schlachthof von Ludwigshafen. Hier steht die Matthäuskirche, an der sich am frühen Abend eine lange Menschenschlange bildet. Hier werden Lebensmittel und Kleiderspenden an Bedürftige ausgegeben. „Seit der Pandemie unterstützen wir auch hier die Menschen, die Hilfe benötigen“, so Bartels.
Ein Tag voller Eindrücke mit einem emotionalen Spaziergang endet hier mit einem Gruppenfoto.
Im Kopf bleiben bei allen Teilnehmern viele Fragen, die sie garantiert auch zukünftig beschäftigen: Wie kann es so viel Armut in Deutschland geben? Was können wir daraus lernen? Und wie können wir die Zukunft schöner und lebenswerter für alle gestalten?
Mit diesen Fragen gehen die Vikar*innen nun zurück in ihren Alltag. Ab März werden sie ihre erste Stelle antreten und bestimmt noch lange an diesen besonderen Spaziergang denken.