Impressionen von der Korea-Reise, einem geteilten Land und einer gigantischen Stadt | von Alina Giesen
Vom 18. bis 26. Januar haben wir auf unserer Reise erlebt, was Südkorea bewegt: Die schmerzliche Erinnerung an den Koreakrieg, der Kampf der Kirchen für Arbeiter*innen und neue Dimensionen für Gemeindearbeit. Unser Besuch in Seoul sollte unsere Partnerschaft stärken – aber er hat mehr als das. Wir haben Südkorea „von innen“ gesehen. Drei Erlebnisse sind daran schuld:
Zuerst der Besuch bei der Urban Industrial Mission: Die sechsspurige Straße führt uns ins Herzen der Arbeiterstadt Seoul. Von der Autobahn gehen immer wieder enge Straßen ab und führen mitten hinein in die „Megacity“. Gigantische Häuserblocks, dazwischen pulsiert das Leben. Menschen verkaufen auf der Straße Fisch, Fleisch, Kleider… In der kalten Luft bilden sich regelrecht Nebelbänke voller Essenduft. Dort lernen wir die Arbeit der Urban Industrial Mission (UIM) kennen. Hier setzt sich Kirche für die Arbeiter*innen ein, für Wohnungslose und irregulär beschäftigte Menschen.
Vikariat in der Rindfleisch-Fabrik
Sie leben oft in prekären Verhältnissen, die Arbeit und die Lebensbedingungen sind hart. Schon während der Militärdiktatur in den 70er und 80er Jahren setzte sich die UIM für Arbeiter*innen ein – unter Repressionen des Staates. Heute gehen von der UIM viele einzigartige und kreative Projekte aus. Ziel ist, die Gesellschaft zu transformieren – hin zu mehr Gerechtigkeit. Zum Beispiel lernen wir einen Vikar kennen, der uns berichtet, er habe in einer Fleischfabrik gearbeitet. Dies sei Teil des Vikariats, als „ungelernte“ Arbeitskraft die Arbeitsbedingungen kennenlernen, denen die meisten Menschen hier ausgesetzt sind. Konkret bedeutete das für den Vikar, achteinhalb Stunden pro Tag große Fleischstücke zu zerkleinern. Die Zeit in der Rindfleisch-Fabrik habe ihn sehr geprägt, berichtet er uns, vor allem aber das Gespräch mit den anderen Arbeitern. „Die Kirche muss sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen“, sagt er überzeugt. Nur so könne die Kirche daran mitwirken, das Leben der Menschen zu verbessern.
Dann eine Grenzerfahrung: Wir fahren aus der Stadt Richtung Grenze. Zwischen Südkorea und Nordkorea liegt eine demilitarisierte Zone. Doch wer durch diese Zone reist, dem begegnen überall schmerzliche Erinnerungen an den Koreakrieg – zum Beispiel im Krieg zerstörte Brücken, die zum Mahnmal geworden sind. Von einer Eisenbahnbrücke in Imjingak stehen fast nur noch die Betonpfeiler. Diese sind übersät mit Einschusslöchern. Wir betreten, was von der Brücke übrig ist, und blicken in Richtung Nordkorea. Die karge Winterlandschaft und die brachliegenden Reisfelder passen zur bedrückenden Stimmung an diesem Ort: ein Gänsehautmoment. Die zerstörte Brücke zwischen Süd- und Nordkorea wird für uns zur Brücke in die Vergangenheit.
“Trostfrauen” – ein grenzüberschreitender Euphemismus
Ebenso steht in Imjingak ein weiteres Denkmal, das uns einen schmerzhaften Einblick in die Geschichte gibt: Auf der Grenze stehen die schlichten Statuen von zwei Frauen, die auf Stühlen sitzen – sie stehen für die „Trostfrauen“ im Zweiten Weltkrieg. Mit diesem Euphemismus wurden die Frauen bezeichnet, die durch das japanische Militär zur Prostitution gezwungen wurden – zum „Trost“ für sie Soldaten im Norden wie im Süden. Neben den Statuen ist jeweils ein Stuhl frei. Wer setzt sich neben sie und blickt mit ihnen in die gleiche Richtung? Irgendjemand hatte ihnen wohl Schal und Mütze gegen die Kälte angezogen – vielleicht ein Zeichen von Mitgefühl. Auch uns hat das Schicksal dieser Frauen berührt – so wie das Schicksal der Menschen, die nach der Teilung des Landes nicht mehr in ihre Heimatdörfer in Nordkorea zurückkehren konnten. Ihre Fotos sehen wir ein paar Schritte weiter.
Immer wieder werden wir daran erinnert, dass wir hier nicht nur mit der Vergangenheit konfrontiert sind, sondern auch mit dem aktuellen Konflikt zwischen Nord- und Südkorea. An vielen Stellen war das Fotografieren verboten – aus militärischen Gründen.
Gedenkstätten mit Vergnügungspark – ein spannender Umgang mit Vergangenheit
Nach diesen Eindrücken wirkt es mehr als surreal auf uns, dass auf dem Platz neben dem Besucher- und Busparkplatz der Gedenkstätten ein Vergnügungspark steht. Außerdem lädt eine Seilbahn als „Friedensgondel“ Besucherinnen und Besucher dazu ein, die demilitarisierte Zone aus der Vogelperspektive zu erleben. Diese Gleichzeitigkeit von Vergnügen und Gedenkkultur ist für uns selbst eine Grenzerfahrung.
Das dritte Erlebnis ist der Gottesdienst in der „Megachurch“ von Seoul, der Dorim Church: Die Kirche besteht aus einem Komplex aus mehreren Stockwerken. Die alte Kirche war für die 10 000 Gemeindeglieder zu klein geworden. Hier erleben wir Kirche in einem neuen Maßstab. Der Gottesdienstraum ist so groß, dass darin mehrere Leinwände das Geschehen übertragen. Beeindruckend. Danach essen wir in der Cafeteria der Dorim Church zu Mittag. Unsere Gastgeber erzählen uns, dass hier unter der Woche bedürftige Menschen ein kostenloses Mittagessen bekommen. Danach bekommen wir die anderen Räume der „Megachurch“ gezeigt: ein weiteres Café im Erdgeschoss, um mit Menschen aus der Stadt ins Gespräch zu kommen, eine Nachbarschaftsbibliothek, Kinderbetreuung, einen Second-Hand-Laden und einen separaten Raum für Jugendgottesdienste und Konzerte. So viele Arbeitsfelder, viel ehrenamtliches Engagement und der Blick auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort – das macht die Dorim Church aus. Und so spricht die „Megachurch“ die Menschen in ihren vielfältigen Lebenssituationen an – in der „Megacity“ Seoul.
Voller Eindrücke und mit vielen bewegenden Erinnerungen sind wir in die Pfalz zurückgekehrt. Vielen Dank an die Presbyterian Church of Korea, das YeongDeungPo Presbytery und die Urban Industrial Mission. Vor allem danken wir Reverend Kim Myeong Joon und Reverend Kim Changhwan für die Zeit und die Einblicke, die sie uns auf unserer Besuchsreise in Südkorea geschenkt haben.